Sonntag, 28. November 2010

Hervé Bourhis: „Das kleine Beatles-Buch“ (Carlsen Comics) – VÖ 26.11.2010


Eigenwilliges Beatles-Storyboard mit kleinen Schönheitsfehlern

(AB) Man kennt das aus der Filmbranche: Das comichaft gezeichnete Storyboard illustriert die vom Drehbuch vorgegebene Handlung und stellt die Grundlage für den geplanten Film dar. Der Franzose Hervé Bourhis kehrt dies um: Er nimmt sich der gewissermaßen schon abgedrehten Historie der Beatles an und bebildert diese zeichnerisch im Comic-Stil.

Bourhis, in der Vergangenheit schon mit dem „Prix René Goscinny“ ausgezeichnet und als Autor des in gleicher Weise kreierten „Kleinen Rockbuchs“ in Erscheinung getreten, nähert sich der Beatles-Geschichte mit einem nicht unoriginellen Ansatz.

„Das kleine Beatles-Buch“ mit seinen 160 Seiten kommt in einem Format daher, das in etwa den Maßen einer Vinyl-Single entspricht. Der Zeichner, der sich selbst als McCartney-Fan bezeichnet, hat von historischer Einbettung über die musikalische Entwicklung bis hin zu biografischem Klatsch und Tratsch eine Menge recherchiert. Sein „Storyboard“ lässt er nicht mit der Trennung der Beatles enden, sondern setzt die Geschichte bis in die Gegenwart fort und bietet so auch einen unterhaltsamen Blick auf die Lebensläufe der Ex-Beatles.„Das kleine Beatles-Buch“ stützt sich auf eine Unmenge bekannter Fotos, die Bourhis in einem Stil umgesetzt hat, der sich zwischen Karikatur, schneller Kritzelei und expressiv gestalteter Tuschezeichnung bewegt. Selbst die abgebildeten Plattencover vom Beatles-Erstling „Please Please Me“ bis hin zu Paul McCartneys Filmsong „(I Want To) Come Home“ (2009) sind gezeichnete Abbilder der Originale und als einzige Ausnahmen in Farbe gehalten. 

Hervé Bourhis hat sich entschieden, alle im Buch präsentierten Veröffentlichungen der Beatles und der späteren Solisten zu bewerten. Dabei gibt es nicht etwa eine Sternchen-Skala, sondern die berühmten Stiefel der Liverpooler – die sogenannten Beatle Boots. Natürlich fußen Bewertungen immer auf subjektiven Meinungen, aber Bourhis kommt hier nicht gerade selten zu eigenartigen Resultaten. Es gibt Alben, denen Bourhis nicht mal einen Stiefel zubilligt, andere hingegen bekommen die Höchstwertung von fünf Stiefeln und manchmal sogar einen obendrauf. Durchweg sehr gut (außer „Yellow Submarine“ mit 3/5) kommen die Beatles-Singles und Alben weg. Bei den Soloproduktionen kommt es mitunter zu nicht nachvollziehbaren Bewertungen wie 5+1 Stiefel für das egozentrische Soundchaos von John und Yokos Nackidei-Album „Two Virgins“. Nur einen von fünf Beatle Boots gibt es für McCartneys selbst von der Musikkritik gelobte Werk „Tug Of War“ (1982), zwei Stiefel für Ringo Starrs großen Wurf „Ringo“ (1973). Gar kein Schuhwerk erhalten die „Anthology“-Songs „Free As A Bird“, „Real Love“ und alle Ringo Starr-Alben von „Ringo’s Rotogravure“ bis „Old Wave“ und alle Veröffentlichungen des ehemaligen Beatles-Drummers nach „Time Takes Time“ (1992). Zugegeben, die meisten dieser Veröffentlichungen waren alles andere als gute Alben, aber diesen nicht einmal einen Gnadenpunkt zu gönnen oder nur blanken Hohn dafür übrig zu haben, das ist bei allem Sinn für Humor schon ein wenig zu hart. Bei „Rotogravure“ setzt der Autor sogar noch einen drauf: Hier wird lediglich eine Coverabbildung gezeigt und der aus der Drucktechnik stammende Begriff (Rotationstiefdruck) erklärt, was das Album mit Ignoranz straft. Darüber lässt sich wirklich nur kurz schmunzeln. 

Doch welches Album findet Gnade in den Augen des angeblichen McCartney-Fans Hervé Bourhis? Sind es die gelungenen „Flowers In The Dirt“ (1989) oder „Flaming Pie“ (1997)? Nein. Gerade mal zwei bzw. drei Treter. „Press To Play“ sowieso nicht: zéro point. Nein, die Höchstwertungen werden an „McCartney“ (1970), „Ram“ (1971) sogar mit Zusatzstiefel, „Band On The Run“ (1973) und nicht ganz unverdient an „Chaos And Creation In The Backyard“ (2005) vergeben.  Fantum bedeutet nicht, per se alles gut zu finden, doch die seltsamen Bewertungskriterien des Monsieur Bourhis könnten seitenweise kritisch kommentiert werden. 

Die Schwarz-Weiß-Zeichnungen des „Kleinen Beatles-Buchs“ vermitteln einen nicht ganz einheitlichen Eindruck. Mal wirkt der Strich sehr sicher und gibt überzeugend die Charakteristika der jeweils dargestellten Person wieder. An anderer Stelle glaubt man Bilder eines Schülers vor sich zu haben, der sich abmühte, eine Fotovorlage möglichst realistisch umzusetzen. Das Ergebnis wirkt so durch unverhältnismäßige Proportionen oder eigenartige Perspektiven manchmal unfreiwillig komisch.

Leider haben sich auch einige Fehler im Druck eingeschlichen. So ist z.B. die Coverabbildung der „Strawberry Fields Forever/Penny Lane“-Single mit „Paperback Writer/Rain“ beschriftet. Unangenehm fällt auch auf, dass viele Texte (vorwiegend bei weißer Schrift auf schwarzem Hintergrund) so klein und dünn gedruckt sind, dass man sie ohne Lupe kaum entziffern kann.
Es ist aber auch nicht immer ganz verlässlich recherchiert worden. Den in den Promotionclips zu „Paperback Writer“ und „Rain“ erkennbaren abgebrochenen Zahn McCartneys erklärt Bourhis mit einem Fahrradunfall. Tatsächlich verunglückte der frühere Beatles-Bassist mit dem Moped. Den berühmt-berüchtigten „Mad Day Out“ der Beatles verlegt der Autor vom 28. Juli auf den 30. August 1968. Oder noch mal Paul McCartney: Dessen einzigen Sohn James tauft der Autor kurzerhand in Jesse um. Das mögen zwar Peanuts sein, die nur den Freaks unter den Fans auffallen, doch unterm Strich sind dies Dinge, die man durchaus vermeiden kann.

Fazit: „Das kleine Beatles-Buch“ von Hervé Bouhris ist sehr unterhaltsame Lektüre, die sich im Grunde in einem Rutsch weglesen lässt. Insbesondere für nicht gerade lesewütige Neu-Fans ist das Buch sicherlich ein guter Weg, sich einen schnellen Überblick über die Geschichte der Beatles zu verschaffen – mit dem faden Beigeschmack, dass die doch sehr eigenwillige Bewertung des Katalogs der Ex-Beatles möglicherweise in die Irre führen kann. 

Dem durch jahrelanges Studium von Biografien und Anthologien geschulten Fan hingegen werden Fehler auffallen. Klar. Insbesondere die Beurteilungen des Werkes der Ex-Beatles werden für heftiges Stirnrunzeln sorgen. Auch klar. Dennoch bietet „Das kleine Beatles-Buch“, das erfreulicherweise nicht mit dem Jahr 1970 endet, ein kurzweiliges Lesevergnügen für eine breit gefächerte Zielgruppe. Das Storyboard der (Ex-)Beatles hat nach wie vor ein offenes Ende.

Hervé Bourhis
Das kleine Beatles-Buch
160 Seiten, Broschur, 19 x 19 cm
ISBN 978-3-551-75047-1
19,90 Euro

Dienstag, 23. November 2010

Die Dreifaltigkeit des Hard Rock


Um 1970 hörten die Beatles auf zu bestehen. Keine einzelne Band konnte die überschäumende Kreativität der Liverpooler ersetzen. Vielleicht entstanden deshalb immer mehr Sparten innerhalb der populären Musik. 1970 jedenfalls war das Jahr der großen Hard Rock Bands: Deep Purple, Black Sabbath und Led Zeppelin regierten und ihre sägenden Riffs schallten aus sämtlichen Transistorradios der westlichen Hemisphäre.

Das österreichische Rock Classics-Team hat sich dieser krachenden Dreifaltigkeit angenommen und porträtiert nicht nur die Band, sondern sucht nach Verbindungen - und findet sie. Das 130 Seiten starke Hochglanz-Sonderheft beschäftigt sich aber nicht nur mit den Querverbindungen, sondern setzt bei den Einflüssen der Bands an, stellt die Bandmitglieder vor, gibt Empfehlungen für den Kauf der wichtigsten CDs und lässt uns an den Erinnerungen der Fans teilnehmen, die teils amüsant, teils sehr einfühlsam beschreiben, wie es war, in den 70ern  ein Led Zeppelin-Konzert mitzuerleben.

Die meiste Zeit bringt es richtig Spaß, den Autoren durch die Welt der Riffs und krachenden Hi-Hats zu folgen. Nur wenn die Beatles als Vergleich herangezogen werden, dann geht es auch schon mal schief. So war ich überrascht davon zu lesen, dass es sich beim White Album um eine 3er-LP handelt. Ich habe vorsichtshalber nochmal nachgeschaut: Bei meinem Exemplar sind nur 2 Scheiben drin...

Das Heft kostet am Kiosk 6,90 Euro. Das ist durchaus angemessen. Und immerhin sind auch zwei, drei Poster dabei.

Nachdem ich einen Großteil der Geschichten intus hatte, hielt es mich jedenfalls nicht mehr: Ich brannte mir eine MP3-CD mit meinen Lieblingsliedern der drei Bands und als ich dann mit dem Wagen auf der Autobahn war, drehte ich auf: "Immigrant Song", "Highway Star", "Paranoid". Glücklicherweise habe ich ja noch ein paar Haare auf dem Kopf. Die flogen quer durch den Wagen.

Super-Heft über drei Super-Bands. Jetzt warten wir auf das Beatles-Special! Denn: Die haben ja mit "Helter Skelter" den Hard Rock erst erfunden, oder?

Na also.

Euer Rugglesby.

Das neue Lennon-Buch: ... so merkwürdig.

Es hat etwas Vertracktes. Als mir die PR-Dame des "neues leben"-Verlags ein Musterexemplar des Buchs

"Das Neue, so merkwürdig ..." - Hanns Eisler, John Lennon. Die Gespräche.
Der Autor: Thomas Freitag

anbot, griff ich, schon aus einem alten Sammler-Reflex heraus, sofort zu. Klar wollte ich das Buch lesen. Auch wenn ich zunächst mit dem Titel überhaupt nichts anfangen konnte. Ein Hanns Eisler mit bemerkenswertem Doppel-N hatte sich also mit John Lennon unterhalten? Aha? Wann denn das?

Der Klappentext scheint Aufklärung zu liefern:

"London, Januar 1962: Hanns Eisler und John Lennon treffen beinahe unvermittelt und auf eigentümliche Weise aufeinander. Der eine ist knapp 64, er ist der weltgewandte und angesehene »Komponist der Arbeiterklasse«. Es ist Eislers letztes Lebensjahr. Der andere ist gerade mal 21, mit den Beatles steht er am Beginn einer Weltkarriere. Beide Musiker begegnen sich völlig unvoreingenommen, vor allem aber haben sie sich unglaublich viel und über alle Barrieren hinweg zu erzählen."

Der Verlag vertieft in der Werbung fürs Buch noch diesen Eindruck:
"Der 64-jährige österreichische Komponist Hanns Eisler - renommierter Musiktheoretiker, Kommunist, Schüler Arnold Schönbergs - begegnet dem 21-jährigen John Lennon, der mit den neu gegründeten Beatles dabei ist, die Musik zu revolutionieren. Sie finden zum Gespräch über alles Trennende, auch über politische Barrieren hinaus. Mehr noch: Sie lassen Gemeinsamkeiten erkennen, so in den Fragen, dass Musiker ihr Gegenüber, den Hörer, den lebendigen Menschen suchen und finden müssen, Künstler nicht außerhalb der sie umgebenden Realität zu stehen haben und Spontanität und Entdeckerfreude für ein zeitgenössisches Musikschaffen unverzichtbar sind. Lennon und Eisler offenbaren sich in den vorliegenden Gesprächen als geistig verwandte Persönlichkeiten."

Aber wann fand denn nun dies Gepräch statt? Nach dem Vorspielen der Beatles bei Decca? Ich dachte, sie wären anschliessend gleich zurück gefahren? Hmm..

Aber gemach: Das Treffen hat niemals stattgefunden. Das hat sich Freitag alles nur ausgedacht. Freitag? Richtig: Der promovierte Musikwissenschaftler Thomas Freitag, geboren 1954, arbeitete bis 2000 als Presse- und Kulturreferent an der Universität Potsdam und lebt seitdem als freier Autor in Potsdam. Warum er sich so etwas ausgedacht hat? Naja... wäre ich böse, würde ich denken: Der Kerl hat einfach zuviel Zeit. Warum sonst hat er sich den Komponisten der DDR-Nationalhymne genommen und ihm sinnfällige, ja: tiefschürfende Gespräche mit dem jungen John Lennon untergejubelt?

Nun, nachdem ich mich durch die rund 100/2 Seiten gekämpft ... Bitte? Warum 100/2? Ach so: Das Buch liegt zweisprachig vor. Auf der linken Seite in schönstem Oxford-English, rechts dann in sozialistischem "Klarsprech-Deutsch".

Nachdem ich mich also durch diesen Text gekämpft habe, bin ich der Meinung: Thomas Freitag hatte nichts weiter vor, als ein kleines intellektuelles Spielchen. So wie es aussieht, kennt er sich mit Eisler sehr gut aus. Mit Lennon meint er wahrscheinlich sich ebenso gut auszukennen. Aber da will ich mal beispielhaft ein paar Passagen zitieren...

So sagt Lennon, wohlgemerkt im Januar 1962:
"Wir haben jetzt eine Reihe neuer Songs. An denen arbeiten wir praktisch Tag und Nacht, und wir wollen das selbstverständlich auf Platte veröffentlichen. Sie haben bei der Plattenfirma noch nicht alles produziert, aber da bleiben wir dran. Ich habe einen wunderbaren Song, "Ain't She Sweet", der ist ja quicklebendig, und ich singe das. Aber sie haben das erstmal weggelegt, es gibt Schwierigkeiten mit dem Plattenlabel."

Später analysiert Lennon: "Die musikalische Teamarbeit ist der Motor der Beatles. Paul und ich - wir ergänzen uns auf ganz hervorragende Weise. Das betrifft auch das Gitarrenspiel, ich bringe eher die rhythmische Kraft ein, Paul spielt Bass, aber auch Klavier und andere Instrumente. George Harrison kommt praktisch jedem Akkord auf die Spur, er probiert so lange, bis seine Version, sein Griff dem jeweiligen original am nächsten kommt."

Und obwohl Lennon hier ja nur das Covern und das mühsame Herantasten an bekannte Hits anspricht, entgegnet Eisler: " Was Sie da machen, hat mit ungeheuer viel Spontanität zu tun. Sie finden sich in die Sachen der Unterhaltungsmusik hinein und produzieren etwas Eigenständiges. Es ist also ein sehr elementares, ungestümes Musizieren ..."

Puh.

Auf diese Art geht es seitenlang.

Sehr nervig auch: Eislers Beiträge suggerieren, dass er Lennon den Friedensgedanken eingetrichtert hat. Etwa wenn er dem aufmerksam lauschenden Jung-Beatle erzählt, er habe einen Kanon auf die Friedensbotschaft des amerikanischen Physikers Reichenbach komponiert. Lennons - fiktive - Reaktion: "Das ist gut, das werde ich mitnehmen, wenn Sie gestatten."

Was immer ich über den Lennon der späten 50er und der frühen 60er Jahre weiß: Nicht einen Hauch davon finde ich in diesem merkwürdigen Buch wieder. Lennon hatte Anfang der 60er noch die typische Rocker-Attitüde. Und selbst wenn er darunter ein echtes Weichei war (was einige Leute denken), hätte er sich a) niemals mit jemanden wie Eisler länger als zwei Minuten unterhalten und b) wäre er noch lange nicht in der Lage gewesen so über sich, seine Musik und seine Weltanschauung zu reflektieren, wie es hier unterstellt wird.

Aber okay: Es ist ja reine Fiktion. Trotzdem: Was bringt's mir? Ganz ehrlich: Mir hat es nichts gebracht. Außer, dass ich mich über ein paar Passagen ein wenig echauffiert habe. Redewendungen, die Lennon noch nicht einmal als Parodie gebraucht hätte, Analysen, die sich nicht einmal im Rolling Stone, geschweige denn beim Lederjacken-John des Jahres 1962 finden würden. Furchtbar gestelzt und aufgesetzt. Es schüttelte mich immer wieder.

Immer öfter musste ich während des Lesens an das Jahr 1977 denken. Damals waren wir mit unserer Klasse in Berlin, verbrachten dabei ein paar Stunden im Osten der Stadt. Das Zwangs-Wechselgeld wurden wir nirgends los. So landeten wir im DDR-Einheitsgrau der geteilten Stadt schließlich in einem Buchladen. Aber außer einigen Polit-Büchern fand sich nur Kinderlektüre in einem unsäglich öden Stil. Graue Sprache. Belehrend bis zum geht nicht mehr und ansonsten einfach nur öde, öde, öde. Irgendwie passt das zu diesem Buch.

Die Idee, den Text zweisprachig zu präsentieren, führt nur dazu, dass es doppelt öde ist. Hat aber immerhin den Vorteil, dass man nach rund 50 Seiten durch ist.

Thomas Freitag mag ein Eisler-Kenner sein. Aber warum Lennon seine Lungenbläschen bei "Twist and Shout" oder "Money" quer durch die Musikhallen Englands und Hamburgs verteilte: Das wird er nie kapieren. Nie!

Ist überzeugt:
Rugglesby