Dienstag, 23. November 2010

Das neue Lennon-Buch: ... so merkwürdig.

Es hat etwas Vertracktes. Als mir die PR-Dame des "neues leben"-Verlags ein Musterexemplar des Buchs

"Das Neue, so merkwürdig ..." - Hanns Eisler, John Lennon. Die Gespräche.
Der Autor: Thomas Freitag

anbot, griff ich, schon aus einem alten Sammler-Reflex heraus, sofort zu. Klar wollte ich das Buch lesen. Auch wenn ich zunächst mit dem Titel überhaupt nichts anfangen konnte. Ein Hanns Eisler mit bemerkenswertem Doppel-N hatte sich also mit John Lennon unterhalten? Aha? Wann denn das?

Der Klappentext scheint Aufklärung zu liefern:

"London, Januar 1962: Hanns Eisler und John Lennon treffen beinahe unvermittelt und auf eigentümliche Weise aufeinander. Der eine ist knapp 64, er ist der weltgewandte und angesehene »Komponist der Arbeiterklasse«. Es ist Eislers letztes Lebensjahr. Der andere ist gerade mal 21, mit den Beatles steht er am Beginn einer Weltkarriere. Beide Musiker begegnen sich völlig unvoreingenommen, vor allem aber haben sie sich unglaublich viel und über alle Barrieren hinweg zu erzählen."

Der Verlag vertieft in der Werbung fürs Buch noch diesen Eindruck:
"Der 64-jährige österreichische Komponist Hanns Eisler - renommierter Musiktheoretiker, Kommunist, Schüler Arnold Schönbergs - begegnet dem 21-jährigen John Lennon, der mit den neu gegründeten Beatles dabei ist, die Musik zu revolutionieren. Sie finden zum Gespräch über alles Trennende, auch über politische Barrieren hinaus. Mehr noch: Sie lassen Gemeinsamkeiten erkennen, so in den Fragen, dass Musiker ihr Gegenüber, den Hörer, den lebendigen Menschen suchen und finden müssen, Künstler nicht außerhalb der sie umgebenden Realität zu stehen haben und Spontanität und Entdeckerfreude für ein zeitgenössisches Musikschaffen unverzichtbar sind. Lennon und Eisler offenbaren sich in den vorliegenden Gesprächen als geistig verwandte Persönlichkeiten."

Aber wann fand denn nun dies Gepräch statt? Nach dem Vorspielen der Beatles bei Decca? Ich dachte, sie wären anschliessend gleich zurück gefahren? Hmm..

Aber gemach: Das Treffen hat niemals stattgefunden. Das hat sich Freitag alles nur ausgedacht. Freitag? Richtig: Der promovierte Musikwissenschaftler Thomas Freitag, geboren 1954, arbeitete bis 2000 als Presse- und Kulturreferent an der Universität Potsdam und lebt seitdem als freier Autor in Potsdam. Warum er sich so etwas ausgedacht hat? Naja... wäre ich böse, würde ich denken: Der Kerl hat einfach zuviel Zeit. Warum sonst hat er sich den Komponisten der DDR-Nationalhymne genommen und ihm sinnfällige, ja: tiefschürfende Gespräche mit dem jungen John Lennon untergejubelt?

Nun, nachdem ich mich durch die rund 100/2 Seiten gekämpft ... Bitte? Warum 100/2? Ach so: Das Buch liegt zweisprachig vor. Auf der linken Seite in schönstem Oxford-English, rechts dann in sozialistischem "Klarsprech-Deutsch".

Nachdem ich mich also durch diesen Text gekämpft habe, bin ich der Meinung: Thomas Freitag hatte nichts weiter vor, als ein kleines intellektuelles Spielchen. So wie es aussieht, kennt er sich mit Eisler sehr gut aus. Mit Lennon meint er wahrscheinlich sich ebenso gut auszukennen. Aber da will ich mal beispielhaft ein paar Passagen zitieren...

So sagt Lennon, wohlgemerkt im Januar 1962:
"Wir haben jetzt eine Reihe neuer Songs. An denen arbeiten wir praktisch Tag und Nacht, und wir wollen das selbstverständlich auf Platte veröffentlichen. Sie haben bei der Plattenfirma noch nicht alles produziert, aber da bleiben wir dran. Ich habe einen wunderbaren Song, "Ain't She Sweet", der ist ja quicklebendig, und ich singe das. Aber sie haben das erstmal weggelegt, es gibt Schwierigkeiten mit dem Plattenlabel."

Später analysiert Lennon: "Die musikalische Teamarbeit ist der Motor der Beatles. Paul und ich - wir ergänzen uns auf ganz hervorragende Weise. Das betrifft auch das Gitarrenspiel, ich bringe eher die rhythmische Kraft ein, Paul spielt Bass, aber auch Klavier und andere Instrumente. George Harrison kommt praktisch jedem Akkord auf die Spur, er probiert so lange, bis seine Version, sein Griff dem jeweiligen original am nächsten kommt."

Und obwohl Lennon hier ja nur das Covern und das mühsame Herantasten an bekannte Hits anspricht, entgegnet Eisler: " Was Sie da machen, hat mit ungeheuer viel Spontanität zu tun. Sie finden sich in die Sachen der Unterhaltungsmusik hinein und produzieren etwas Eigenständiges. Es ist also ein sehr elementares, ungestümes Musizieren ..."

Puh.

Auf diese Art geht es seitenlang.

Sehr nervig auch: Eislers Beiträge suggerieren, dass er Lennon den Friedensgedanken eingetrichtert hat. Etwa wenn er dem aufmerksam lauschenden Jung-Beatle erzählt, er habe einen Kanon auf die Friedensbotschaft des amerikanischen Physikers Reichenbach komponiert. Lennons - fiktive - Reaktion: "Das ist gut, das werde ich mitnehmen, wenn Sie gestatten."

Was immer ich über den Lennon der späten 50er und der frühen 60er Jahre weiß: Nicht einen Hauch davon finde ich in diesem merkwürdigen Buch wieder. Lennon hatte Anfang der 60er noch die typische Rocker-Attitüde. Und selbst wenn er darunter ein echtes Weichei war (was einige Leute denken), hätte er sich a) niemals mit jemanden wie Eisler länger als zwei Minuten unterhalten und b) wäre er noch lange nicht in der Lage gewesen so über sich, seine Musik und seine Weltanschauung zu reflektieren, wie es hier unterstellt wird.

Aber okay: Es ist ja reine Fiktion. Trotzdem: Was bringt's mir? Ganz ehrlich: Mir hat es nichts gebracht. Außer, dass ich mich über ein paar Passagen ein wenig echauffiert habe. Redewendungen, die Lennon noch nicht einmal als Parodie gebraucht hätte, Analysen, die sich nicht einmal im Rolling Stone, geschweige denn beim Lederjacken-John des Jahres 1962 finden würden. Furchtbar gestelzt und aufgesetzt. Es schüttelte mich immer wieder.

Immer öfter musste ich während des Lesens an das Jahr 1977 denken. Damals waren wir mit unserer Klasse in Berlin, verbrachten dabei ein paar Stunden im Osten der Stadt. Das Zwangs-Wechselgeld wurden wir nirgends los. So landeten wir im DDR-Einheitsgrau der geteilten Stadt schließlich in einem Buchladen. Aber außer einigen Polit-Büchern fand sich nur Kinderlektüre in einem unsäglich öden Stil. Graue Sprache. Belehrend bis zum geht nicht mehr und ansonsten einfach nur öde, öde, öde. Irgendwie passt das zu diesem Buch.

Die Idee, den Text zweisprachig zu präsentieren, führt nur dazu, dass es doppelt öde ist. Hat aber immerhin den Vorteil, dass man nach rund 50 Seiten durch ist.

Thomas Freitag mag ein Eisler-Kenner sein. Aber warum Lennon seine Lungenbläschen bei "Twist and Shout" oder "Money" quer durch die Musikhallen Englands und Hamburgs verteilte: Das wird er nie kapieren. Nie!

Ist überzeugt:
Rugglesby

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